Warum wir eine Fashion Revolution brauchen: Arbeitsbedingungen in der Fast Fashion Industrie

Warum wir eine Fashion Revolution brauchen: Arbeitsbedingungen in der Fast Fashion Industrie

geschrieben von Annika Krüßmann 

Spätestens seit dem Einsturz des Rana Plaza 2013 in Bangladesch, bei dem über 1.100 Näher_innen ums Leben kamen, gewinnt die Thematik der Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie zunehmend an Bedeutung. Viele Konsument_innen hinterfragen mittlerweile, woher die Kleidung, die sie kaufen, eigentlich kommt und unter welchen Bedingungen sie hergestellt wird. 

Leider geht dieses wichtige Thema im Alltag und bei scheinbar belanglosen Kaufentscheidungen immer noch zu oft unter. Deshalb geben wir euch in diesem Blogbeitrag einen Überblick, wie die Arbeitsbedingungen, unter denen Fast Fashion hergestellt wird, in Realität aussehen. Und wir zeigen euch, warum wir heute mehr denn je eine Fashion Revolution brauchen und fordern sollten.

 

Was ist 2013 in Bangladesch passiert?

Vor etwas über neun Jahren, am 24. April 2013, stürzte eine große Fabrik, das Rana Plaza, in der Hauptstadt Dhaka in Bangladesch ein. Produziert wurde dort Fast Fashion. Bei dem Einsturz kamen über 1.100 Menschen ums Leben, ein Großteil von ihnen junge Frauen, die dort Kleidungsstücke nähten. Viele Familien verloren damit nicht nur die haupt-verdienende Person, sondern auch Mutter, Vater, Schwester, Bruder, Freund oder Freundin. 

Das Gebäude war bekanntermaßen bereits vor dem Einsturz nicht intakt gewesen und unterlag nicht den offiziellen Sicherheitsbestimmungen. Am Tag vor dem Einsturz wurden sogar Risse im neunstöckigen Gebäude festgestellt, die allerdings nicht gemeldet wurden.  

Und selbst heute ist der Prozess vom damaligen Unglück noch nicht beendet. Schon 2016 wurden 41 Personen des Mordes im Rahmen des damaligen Ereignisses angeklagt, allerdings gibt es noch immer kein finales Ergebnis der Prozesse. Im März wurden sie fortgeführt, wobei offiziell noch keine weiteren Infos dazu vorliegen.

 

Löhne in der Fast-Fashion-Industrie

Stell dir vor, du bist auf der Suche nach einem Job, um Geld zu verdienen. Du hast vielleicht eine Ausbildung oder ein Studium absolviert und Berufserfahrung bringst du auch schon mit. In einem Unternehmen wird dir dann ein Arbeitsvertrag mit einem monatlichen Bruttogehalt von 450 Euro für eine 40-Stunden-Woche vorgelegt. Was machst du? Natürlich nimmst du den Job nicht an, denn das Gehalt liegt nicht nur unter dem Mindestlohn und ist somit illegal, sondern es kann auch nicht nur ansatzweise deinen Lebensunterhalt decken. Allein die Kaltmiete für deine Wohnung liegt wahrscheinlich über diesen 450 Euro.

In Deutschland haben wir mit einer Qualifikation und einem geregelten Rechtssystem mit Mindestlohn den Luxus, ein gutes Gehalt zu fordern und zu bekommen. Stell dir aber jetzt einmal vor, dir wird genau dieser Arbeitsvertrag vorgelegt und du hast keine Wahl, außer ihn zu unterschreiben. Denn ein besseres Gehalt wirst du trotz gesetzlichem Mindestlohn nicht bekommen und du brauchst den Job, um deine Familie ansatzweise über Wasser halten zu können.

Genau das ist leider auch heute noch, neun Jahre nach dem Einsturz des Rana Plaza, die Realität in vielen asiatischen Ländern wie Bangladesch. Dort liegt der offizielle Mindestlohn bei umgerechnet ca. 85 Euro im Monat.  

In der Fast-Fashion-Industrie spielt der allerdings eine eher untergeordnete Rolle; Löhne von 50 bis 64 Euro sind hier eher realistisch – je nach Qualifikation der Näher_innen. 

Teilweise beträgt der monatliche Lohn auch nur 20 Euro. Nach dem Einsturz des Rana Plaza gewannen die katastrophalen Arbeitsbedingungen in solchen Fabriken zwar mehr Aufmerksamkeit und der Mindestlohn in der Branche stieg danach an, doch was erschreckend dabei ist, ist die Tatsache, dass der vorherige Mindestlohn um 65 bis 77 % niedriger war als die oben genannten Zahlen. Von einem monatlichen Lohn von 50 Euro können Näher_innen in Bangladesch nicht einmal die Hälfte der Miete für eine 2-Zimmer-Wohnung zahlen, diese liegt aktuell bei knapp 100 Euro. 

Warum die Arbeiter_innen so wenig verdienen? Die Textilindustrie ist ein riesiger Wirtschaftszweig; allein in Bangladesch der größte mit einem jährlichen Umsatz von ca. 31 Milliarden Euro. 

Hinter zu geringen Löhnen steckt die Textillobby: Auftraggeber sind bestrebt, im Sinne von maximaler Gewinnausschöpfung anfallende Kosten so gering wie möglich zu halten. Durch den nötigen Druck kommen auch Gewerkschaften nicht gegen Konzerne an, die damit drohen, die Produktion von Mode bei steigenden Gehältern in billigere Länder zu verlegen. 

Die Pandemie hat die zu niedrigen Löhnen noch weiter angefeuert: Ausbleibende oder stornierte Bestellungen von großen Auftraggebern sorgten dafür, dass tausende Menschen ihre Arbeit und damit die Existenzgrundlage für ihre Familie verloren. 

 

Arbeitssicherheit und Arbeitszeiten in der Fast-Fashion-Industrie

Gleichzeitig spielte das Coronavirus auch in Entwicklungsländern wie Bangladesch eine bedeutende Rolle, fand jedoch in den sowieso schon schlechten Arbeitsbedingungen keine Berücksichtigung. Viele Arbeiter_innen wurden also vor die Wahl gestellt, entweder ihren Job zu verlieren und ihre Familie nicht ernähren zu können oder das Risiko auf der Arbeit einzugehen, sich mit dem Coronavirus anzustecken. Sicherheitsmaßnahmen wie die in Deutschland gelten in dieser Branche nicht.

Allgemein lässt sich beobachten, wie gerade in der Fast-Fashion-Industrie immer wieder Macht und Wettbewerbsvorteile über das Wohl von Mensch und Umwelt gestellt wird. Menschen- und Arbeitsrechte finden dort genauso wenig Anwendung wie der Aspekt der Arbeitssicherheit vor Ort. Schutz vor gefährlichen und krankheitserregenden Mitteln gibt es nicht. Die meisten Mitarbeiter_innen tragen keine Handschuhe und kommen so jeden Tag mit gefährlichen Chemikalien (zum Beispiel zum Bleichen von Jeans) und Färbemitteln in Berührung, die sich in die Haut einfressen und unter anderem krebserregend sein können. 

Ebenso das Thema Brandschutz wird in genau solchen Fabriken, bei denen es eigentlich nötig wäre, nicht großgeschrieben. Immer wieder kommt es zu Feuern und Explosionen in Fabrikgebäuden, bei denen zu viele unschuldige Arbeiter_innen ihr Leben lassen müssen – ohne wirkliche rechtliche Konsequenzen.

Trotz oder vielleicht sogar gerade wegen dieser fehlenden Arbeitssicherheit verwundert es leider auch nicht, dass quasi niemand der Angestellten in einer Fabrik eine Krankenversicherung oder einen ähnlichen Schutz hat. Auch auf Schwangerschaft oder andere Beeinträchtigungen hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit wird keine Rücksicht genommen. Wer nicht die geforderte Leistung erbringt, wird beleidigt, verletzt, bedroht oder sogar entlassen – etwas, das sich keiner der Angestellten leisten kann. 

Gearbeitet wird in den meisten Fabriken von frühmorgens bis spätabends, nicht selten werden 12 Stunden oder mehr am Stück und ohne Gewährung von Pausen Kleidungsstücke genäht. Wochenenden nutzen Näher_innen ebenfalls für die Arbeit, um aufgrund des zu niedrigen Lohns durch Überstunden mehr Geld zu verdienen, um die Familie ernähren zu können. In manchen Fällen arbeiten Näher_innen sogar 24 Stunden am Stück – vor allem dann keine Seltenheit, wenn Auftraggeber große Margen bestellt haben, die mit enger Deadline fertiggestellt werden müssen.

 

Fazit

Sich seiner Kaufentscheidungen bewusst zu werden, sie kritisch zu hinterfragen und im Endeffekt sogar anzupassen, ist kein Kinderspiel. Dennoch sollte dir bei jedem Fast-Fashion-Produkt, das du kaufst, klar sein, dass du mit deiner Kaufentscheidung immer das jeweilige Unternehmen und dessen Praktiken nicht nur finanziell unterstützt, sondern damit auch ein klares Zeichen setzt – gegen sichere Arbeitsbedingungen, menschliche Arbeitszeiten und faire Löhne.

Auch wenn wir noch lange nicht da sind, wo wir schon längst sein sollten: Jede und jeder kann noch heute anfangen, etwas gegen die katastrophalen Bedingungen in der Fast-Fashion-Industrie zu tun. Denn mit jeder Person und jeder besseren Entscheidung kommen wir langsam ans Ziel, Mode endlich wirklich nachhaltig und fair zu produzieren und durch sie den Planeten zu bereichern und nicht auszubeuten.


Quellen: 

https://www.tagesschau.de/ausland/rana-planza-entschaedigung-101.html

https://durchschnittseinkommen.net/durchschnittseinkommen-bangladesch/

https://taz.de/Textil-Mindestlohn-in-Bangladesch-erhoeht/!5053677/

https://de.numbeo.com/lebenshaltungskosten/land/Bangladesch?displayCurrency=EUR

https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/rana-plaza-prozess-101.html

https://www.vogue.de/lifestyle/artikel/rana-plaza-unglueck-texitlfabrik-8-jahre-danach

https://www.bpb.de/themen/recht-justiz/dossier-menschenrechte/38751/arbeits-und-menschenrechte-in-der-textilindustrie/

 https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/arbeitsbedingungen-in-der-textilproduktion-wer-sich-wehrt-wird-entlassen/19974654.html

https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/arbeitsbedingungen-in-der-textilproduktion-wer-sich-wehrt-wird-entlassen/19974654.html


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